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Der Massenmörder Fritz Haarmann

Auf „gute Nachbarschaft“: Ein Dossier von Thomas Christes,

freiberuflicher Rundfunkredakteur beim ARD-Hörfunk (www.studiohannover.de)

Hören Sie hier seinen Radiobeitrag über Haarmann im MP3-Format.
Norddeutscher Rundfunk, NDR 1 Radio Niedersachsen, 1999
(2:37 Minuten, ca. 2,5 MB)

Fritz Haarmann

Fritz Haarmann

Fritz Haarmann – er zählt zu den schlimmsten Serienkillern des 20. Jahrhunderts. Im Hannover der 20er Jahre lebte und mordete er in einer kleinen Dachkammer in der „Roten Reihe”, einem Straßenzug in der Calenberger Neustadt. Thomas Christes wohnt und arbeitet in seinem Hörfunkstudio in der gleichen Straße, nur 50 Meter vom Ort des Geschehens entfernt.

Rote Reihe

Rote Reihe

1924 erregte der hannoversche Kriminalfall großes Aufsehen in der deutschen Öffentlichkeit. Im Frühsommer entdeckten spielende Kinder in der Leine einen menschlichen Schädel. Drei Tage später folgte ein ebensolcher Fund an gleicher Stelle, und auch im Juni wurden zwei Schädel aus der Leine geborgen. Der Verdacht richtete sich schon früh gegen Fritz Haarmann, den man schon Jahre zuvor mit dem Verschwinden junger Männer in Zusammenhang gebracht hatte. Die vorgenommene Durchsuchung seiner Wohnung, eine spartanisch eingerichtete Dachkammer in der Roten Reihe gegenüber der Altstadt, brachte die Ermittlungen allerdings kaum voran. Es wurden nur einige Bekleidungsstücke und etwas Wäsche – anscheinend von jungen Leuten – gefunden. Das Haarmann-Haus steht heute übrigens nicht mehr, und auch die Reihenfolge der Hausnummern in der Roten Reihe war in den 20er Jahren eine andere.

Tatort

Tatort

Die Polizei verhörte nach und nach zahlreiche Personen aus dem Bekanntenkreis Haarmanns. So waren auch am 1. Juli wiederum gleich mehrere Zeugen zur Vernehmung geladen worden. Der Zufall wollte es, dass im Polizeipräsidium die Mutter des seit April 1924 vermissten 18-jährigen Lehrlings Robert Witzel mit Haarmanns letzter Wirtin, einer Frau Engel, und deren Stiefsohn zusammentraf. Frau Witzel erkannte in dem Anzug, den der junge Mann trug, mit Bestimmtheit die Bekleidung ihres Sohnes wieder. Auf Befragen gab Frau Engel an, den Anzug von Haarmann gekauft zu haben. Als dem Beschuldigten diese Tatsache vorgehalten wurde, brach er zusammen und gestand die Tötung Witzels und weiterer junger Männer ein.

Spurensuche

Spurensuche

Im Juli nahm die Polizei eine systematische Suche nach den Überresten der Opfer Haarmanns auf. Er hatte angegeben, die meisten der Getöteten zerstückelt und in die Leine geworfen zu haben. Bei der Suchaktion konnten insgesamt 285 Knochen aus dem Flussbett geborgen werden. Die Untersuchung der Skeletteile ergab, dass sich darunter 22 rechtsseitige Oberschenkelknochen befanden. Sämtliche Knochen stammten, soweit beurteilbar, von jungen Männern. Wie sich später herausstellte, war das jüngste Opfer Haarmanns zehn und das älteste 22 Jahre alt. Das Bekanntwerden des Massenmordes gab zu manchen ungeheuerlichen Spekulationen Anlass. Insbesondere ein Gerücht bewegte lange Zeit die Gemüter. Es unterlag keinem Zweifel, dass Haarmann einen gutgehenden Handel mit billigem Fleisch betrieb. Der Beweis für einen Verkauf von Fleisch seiner Opfer zum menschlichen Verzehr konnte aber nicht erbracht werden. Andererseits ließ sich seine Bezugsquelle ebenso wenig ermitteln.

Gerichtsverhandlung

Gerichtsverhandlung

Das psychiatrische Gutachten, das die Frage der Zurechnungsfähigkeit von Haarmann klären sollte, wurde bei Professor Dr. Ernst Schultze in Auftrag gegeben. Im August 1924 begannen die sechswöchigen Untersuchungen in der Proviz-, Heil- und Pflegeanstalt von Göttingen. Haarmann wurde von Schultze am 1. Oktober 1924 für zurechnungsfähig erklärt. Der Prozess gegen Haarmann und Grans fand vom im Dezember 1924 vor dem Landgericht Hannover statt. Die Staatsanwaltschaft erhob Anklage wegen Mordes in siebenundzwanzig Fällen. Das Gericht gelangte aufgrund der im Prozess vorgelegten Beweismittel zu der Auffassung, dass Haarmann zwischen September 1918 und Juni 1924 mindestens vierundzwanzig Morde begangen hat. Unklar blieb, auf welche Weise er seine Opfer tötete. Haarmann machte dazu unterschiedliche Aussagen. Zuerst konnte er sich angeblich nicht erinnern, während er später behauptete, er habe seinen Opfern „die Kehle durchgebissen”. Wo das misslang, habe er sie erwürgt. Merklich erfreute er sich während der Verhandlung seiner zweifelhaften Berühmtheit. Am 19. Dezember 1924 ging das makabre Schauspiel zu Ende. Das Gericht verurteilte Haarmann wegen Mordes in vierundzwanzig Fällen vierundzwanzigmal zum Tode. Wegen Anstiftung und Beihilfe zum Mord erhielt sein Freund Hans Grans ebenfalls die Todesstrafe, später umgewandelt in eine lebenslängliche Zuchthausstrafe.

Kopf von Haarmann

Kopf von Haarmann

Im Gefängnishof des Landgerichts Hannover wurde Fritz Haarmann am 15. April 1925 um sechs Uhr morgens enthauptet. Ein Fallbeil trennte den Kopf vom Körper. Zu Forschungszwecken wurde der Schädel aufgehoben. Noch heute befindet sich der in einer konservierenden Flüssigkeit eingelegte Kopf in Göttingen. Vier Hirnschnitte davon befinden sich in München. Wie kaum ein Täter seiner Zeit war Haarmann sich seiner Vermarktbarkeit bewusst: „Wenn ich so gestorben wäre, dann wäre ich beerdigt worden und keiner hätte mich gekannt, so aber – Amerika, China, Japan und die Türkei, alles kennt mich.” Er wollte auf dem Klagesmarkt hingerichtet werden, vor laufenden Kameras, „dann sehen doch alle Leute, dass ich tot bin – in Amerika – da bin ich auch im Kino – ich bin doch ganz berühmt”. Und einen Roman wollte er vorher noch schreiben: „Ja, das mache ich, den verkaufen wir, wir verdienen viel Geld damit, da werden wir Millionär! Vom Erlös soll ein Denkmal errichtet werden. Das ist eine Sehenswürdigkeit noch in 1000 Jahren, da kommen sie alle und sehen sich das noch an”.

Die Figur und das Treiben Fritz Haarmann sind schon damals durch ein Volkslied verballhornt worden. Zeilen wie „Warte, warte nur ein Weilchen, dann kommt Haarmann auch zu dir – mit dem kleinen Hackebeilchen macht er Hackfleisch dann aus dir” sind fest mit der hannoverschen Geschichte verknüpft.

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Filmszene "Der Totmacher"

Filmszene „Der Totmacher“

1995 hat Götz George im Kino-Drama „Der Totmacher” die Figur Haarmanns verkörpert. Und im Februar 2001 wurde ein Bühnenstück zum Thema im Theater am Ballhof, unweit der Roten Reihe, uraufgeführt. Der Hauptdarsteller sagte in einem Interview: „Ich habe mir für die Aufführung extra in der Calenberger Neustadt eine Wohnung genommen. Mit einem unguten Gefühl ging ich morgens rüber zu den Proben am Ballhof, denn die gleichen Glocken der Neustädter Hof- und Stadtkirche wird der alte Haarmann damals ja wohl auch schon gehört haben”.

© Thomas Christes www.studiohannover.de

Mehr über die Geschichte von Fritz Haarmann unter www.wikipedia.de.


Bild: Grabstätte der Haarmann Opfer (von Tim Rademacher)
http://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/de/deed.de